Es folgt ein Bericht von Anja in ich-Erzählung:
Es ist der 29. Dezember und nach einer Woche Weihnachtsferien in Baku wollen wir nun weiter in Richtung Iran. Den ganzen Tag habe ich irgendwie schon ein ungutes Gefühl. Dann reißt auf einmal Gnubbi’s Hinterradfelge. Noch die Tage davor haben wir darüber gesprochen, was wohl wäre, wenn.. und wie andere dieses Problem schon gelöst haben. Wir entscheiden, erst mal vorsichtig weiterzufahren. Entweder müssen wir irgendwie zurück nach Baku, vielleicht gibt es aber auch im Iran halbwegs qualitative Fahrradläden. Irgendwie müssen wir eine Lösung finden. Der Highway ist zum Glück flach, sodass die kaputte Felge nicht so sehr belastet wird. Als wir nach 60 km in den Qobustan-Nationalpark fahren, um bei den Schlammvulkanen zu zelten, werden wir enttäuscht. Man kann dort nur Felsenkunst beobachten. Es kostet Eintritt und Übernachten können wir dort auch nicht. Die aktiven Schlammvulkane sind 15 km weiter, bei Alat zu finden. Wir fahren nach Alat, um uns am Bahnhof nach dem Zug Richtung Astara (iranische Grenze) zu erkundigen.
Der Bahnhof ist absolut tot. Nachmittags. Die Wartehalle und ein angeblicher Schalter haben geschlossen, die Angestellten vom Stellwerk können kein Englisch. Irgendwie können wir aber kommunizieren, dass der Zug um 01:30 Uhr abfährt und wir Tickets im Zug kaufen können. Sehr gut. Vorher wollen wir uns noch die Schlammvulkane anschauen, angeblich führt eine dicke Straße dorthin. Fehlanzeige. Alles ist total matschig und wir kommen gerade mal 50 m weit. Der Weg ist aber etwa 5 km lang. Keine Chance. Ernüchtert drehen wir um und fahren zurück zum Bahnhof, um uns dort bis zum Zug die Zeit tot zu schlagen.
Wir dürfen auf Nachfrage bei der Polizei (die uns nicht den Warteraum aufschließen kann oder will), bei den Stellwerkmenschen im Aufenthaltsraum sitzen, denn es ist ganz schön kalt draußen. Sie bringen uns Çay und wir verspeisen dazu unsere Quinoa-Salat-Reste. Auffällig ist, dass die Polizei uns zu beobachten scheint. Einer von ihnen fängt dann an mit uns zu kommunizieren und sagt, es gibt keine Tickets mehr für den Zug. Aber er kann ihn für uns anhalten, dann dürfen wir für 30 Manat pro Person… äh 40 Manat (20 €) zusammen mitfahren. Wir sollten ihm jetzt das Geld geben, dann ruft er an und macht das für uns klar. Uns kommt das komisch vor. Warum sollten wir ihn, einen Polizisten, bezahlen, wenn wir doch einfach im Zug dem Schaffner das Geld geben können. Noch dazu ist der Preis unglaublich hoch! Im Internet haben wir von 14 Manat (7 €) für uns beide gelesen! Er versucht immer mehr Druck aufzubauen.. grapscht unsere Sachen an, erzählt, dass wir ja vermutlich gar kein Geld haben. Er hätte Polizei-Personal im Zug, deswegen können wir ihm vertrauen… usw. usf. Irgendwann lässt er uns erstmal in Ruhe und wir wollen ein wenig dösen, doch als er das bemerkt, kommt er wieder mit seiner Masche: wenn wir ihn nicht bezahlen, dann können wir den Zug nicht nehmen und übernachten dürfen wir hier drin nicht, wenn wir nicht den Zug nehmen. Wir bleiben dabei, dass wir im Zug bezahlen werden. Er schreibt, dann dürften wir nicht mehr hier bleiben (alles läuft immer über Google Translate und man versteht nur die Hälfte). Ich antworte, okay, wenn das so ist, dann warten wir jetzt draußen auf den Zug. Also packen wir alles zusammen und tragen Stück für Stück die Taschen hinaus. Er versucht immer wieder uns davon abzuhalten, indem er schreibt, wir sollten ihm doch einfach das Geld geben, wir können ihm vertrauen. Nerviger Typ. Der Bahnangestellte gestikuliert uns sein Beileid über das danebene Verhalten des Polizisten.
Draußen ziehen wir uns warm an und anscheinend gibt es nach einer Weile eine Art Schichtwechsel und ein neuer Polizist mit einer ordentlichen Fahne bittet uns wieder herein. Er sei höher gestellt und dürfe das entscheiden. OK. Sie helfen uns auch wieder alles herein zu tragen. Es sind zwei Polizisten, die anfangs nett erscheinen, dann aber genauso nervig sind wie der erste. Sie grabbeln mich an, wollen unzählige Selfies mit mir, zeigen alle möglichen Fotos und wollen unbedingt unsere sehen. Wir zeigen aber nichts und geben ihnen auch nicht WhatsApp, Facebook und Instagram, wonach sie eindringlich fragen. Irgendwann kommen wir wieder auf die Tickets zu sprechen und es geht wieder ums Geld. Er möchte, dass wir doch morgen erst fahren und mit zu ihm nach Hause kommen, er würde uns zu den Schlammvulkanen fahren und wir hätten einen schönen Tag und dann könnten wir abends den Zug nehmen. Wir wollen das auf keinen Fall und lehnen mehrmals bestimmt ab. Er sagt, wir können heute nicht mehr in den Zug.
Dann ist es soweit und sie zeigen uns sogar, wo genau wir uns mit den Sachen hinstellen müssen. Der Zug hält, wir wollen einsteigen, im Waggon sind tatsächlich ein Schaffner und ein Polizist. Sofort beginnen sie untereinander zu kommunizieren, nachdem wir einsteigen wollen und es klar ist, dass wir kein Ticket haben. Der junge Polizist redet einige Minuten sehr stark auf den Schaffner ein, der winkt letztendlich ab und der Zug fährt weiter. Super. Wir standen nur hilflos daneben und sind nun richtig verärgert, haben die ganzen Stunden umsonst gewartet, packen auf und verpissen uns.
Der zweite Polizist kommt uns noch hinterher und will, dass wir zu ihm nach Hause kommen, wo wir denn jetzt schlafen?! An einem Laden hatte Gnubbi den WiFi Code erfragt, dort wollen wir erstmal überlegen, was wir nun machen. Sofort ist schon wieder eine Traube junger alkoholisierter Männer um uns. Genervt verscheuchen wir sie und versuchen trotz Müdigkeit einen klaren Gedanken zu fassen. Sollen wir noch mitten in der Nacht mit dem Zug zurück nach Baku, oder einfach am nächsten Tag mit dem Zug nach Astara und online ein Ticket buchen? Dann müssten wir aber wieder an diesem Bahnhof mit den furchtbaren Menschen einsteigen. Oder nach Baku zurück und in den Nachtzug ab Baku, damit der Einstieg leichter ist? Vielleicht können wir auch einfach weiter Richtung Iran trampen? Wo schlafen wir jetzt? Was machen wir morgen? Können wir irgendwo unsere Räder lassen, falls wir noch die Schlammvulkane besuchen wollen?
Wir entschließen, erst einmal drüber zu schlafen und evtl. am nächsten Morgen ein Ticket zu buchen. Die Tankstellen in der Nähe wollen wir nach einem Platz für unser Zelt befragen. Leider dürfen wir nicht dort bleiben und die und zugewiesene verlassene Tankstelle macht einen ungemütlichen Eindruck. Ein nahegelegenes Haus hat noch eine unmatschige Terrasse, doch der Mann darf uns nicht dort schlafen lassen. Ähnlich verhält es sich mit einer weiteren Tankstelle in der Nähe. Es gibt keine Möglichkeit, maximal hinter dem Haus beim Generator. Dort müssten wir aber um 8 wieder weg. Ohje, es ist um 3 und mit Zelt-Aufbau und -abbau hatten wir gerade mal 3 Stunden Schlaf.. das ergibt keinen Sinn. Doch, dem freundlichen Mann fällt noch eine Alternative ein. Es gibt angrenzend eine Art Mini-Olivenhain, wo ein Stück mit Kies belegt ist, dort dürfen wir das Zelt hinstellen und ausschlafen. Erleichtert bauen wir das Zelt auf und ich hole noch heißes Wasser für die Wärmflasche.
Was für ein Tag!